NEUWIED. -edb- Freiheit ist ein dehnbarer Begriff. Insbesondere wenn man aus Syrien kommt. Khalil Alali (37) floh 2014 aus einem Land, in dem jeder gegen jeden kämpft. In der vom arabischen IS, den syrischen Regierungstruppen und den Kurden umkämpften Stadt Hasaka gab es mehr Hürden, als ein Mensch nehmen konnte.

„Überall gab es Kontrollen und Sperren“, erzählt Khalil. Schnell konnte man zum Feind erklärt werden. Einkäufe und Verwandtenbesuche im benachbarten Stadtteil waren nicht mehr möglich, der Weg zur Arbeit gestaltete sich zunehmend schwerer. Teile der Stadt wurden bombardiert und lagen bereits in Schutt und Asche. Unter Lebensgefahr machte sich Khalil, der die Lohnbuchhaltung und Registerabteilung im Ministerium für Gesundheitswesen leitete, auf den täglichen Weg zur Arbeit – bis auch das nicht mehr möglich war. Die Hoffnung, dass der Krieg bald beendet sein würde und wieder normales Leben einkehren könnte, hatte Khalil begraben. Sein Schwager, der nachts als Taxifahrer gearbeitet hatte, wurde bei einer Schießerei als Unbeteiligter zum Pflegefall geschossen. Dieses Schicksal wollte er seiner Familie ersparen.

So entschloss er sich 2014 zur Flucht nach Deutschland. Doch die gelang ihm erst im vierten Anlauf. Dreimal wurde er aufgegriffen, dreimal bangte er um sein Leben. Ein Jahr später machte sich auch seine Frau Hendia (36) auf den Weg, mit drei Kindern, drei Koffern, einer Geige und einer Saz (kurdische Gitarre). Trotz offiziell genehmigtem Nachzug sollte es auch ihr erst im zweiten Anlauf glücken. Im April 2015 war es dann soweit: Khalil konnte seine Familie in die Arme schließen. Endlich in Sicherheit vor Terror und Verfolgung machte sich die Familie auf den Weg ins neue Leben. „Wir sind vor der großen Flüchtlingswelle nach Deutschland gekommen“, ist Khalil dankbar, der zunächst einmal die größte Hürde, die deutsche Sprache, nehmen musste. Eifrig besuchten er und Hendia Integrations- und Sprachkurse, nahmen an Arbeitsmarktmaßnahmen teil und meldeten die Kinder für Schule und Kindergarten an. Ihr Fleiß wurde belohnt. Waren sie am Anfang noch auf die Unterstützung ihrer Integrationshelfer angewiesen, meistert die Familie mittlerweile selbstständig Behördengänge, Einkäufe, Elternabende und Arztbesuche. Hendia, von Beruf Französischlehrerin, arbeitet zweimal die Woche als Honorarkraft an der Goethe-Realschule plus in Koblenz, Hilma (7) und Rawand (6) spielen Saz. Und die älteste Tochter Hewa singt im Kinderchor der Marktkirche und nimmt seit einem Jahr Geigenunterricht.

Die Musikinstrumente haben für die Familie eine ganz besondere Bedeutung. Mit ihnen verbinden sie Freiheit und Selbstbestimmung. „Westliche Spiele, Musik und Kunst waren bei uns nicht gewünscht“, versucht Hendia ihre Liebe zur Musik zu erklären. Den Herzenswunsch ihrer ältesten Tochter, Geigenspielen zu lernen, konnte sie ihr in Syrien nicht erfüllen. Für ihre Geigenlehrerin, Silke Link, ist Hewa ein Geschenk. „Sie hat Talent und eine tolle Auffassungsgabe“, berichtet sie begeistert über ihre Schülerin, die schon bei zwei Konzerten mitgemacht hat. Doch bei allem Erreichten sieht Khalil seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt sehr kritisch. In seinem Beruf als Rechtsanwalt hat er keine Chance auf Anstellung, da Deutschland den Abschluss syrischer Juristen nicht anerkennt. Eine Alternative sieht er im kaufmännischen Bereich. Doch dafür müsste er eine Ausbildungsstelle finden. Um seine Chancen zu erhöhen, hat er sich gemeinsam mit Hendia, die sich im Hinblick auf die Anerkennung ihres Lehramtsabschlusses in einer ähnlichen Lage befindet, für den Fortgeschrittenen- Deutschkurs B2 eingetragen. „Auch der Bundesfreiwilligendienst wäre für uns eine Chance“, hofft das Ehepaar, das nichts unversucht lassen will.

Foto: Billigmann