KOBLENZ/ISTANBUL. Mit Kapitän Christian Heintz aus Koblenz erreichte die deutsche Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft im Amputierten-Fußball in der Türkei den achten Platz und qualifizierte sich damit für die Weltmeisterschaft 2018 in Mexiko. In der Vorrunde blieb das Team noch sieglos gegen den Gastgeber und späteren Vize-Europameister Türkei (0:7), Spanien (1:2) und Georgien (1:1). In den Platzierungsspielen gelang zunächst ein 2:1-Sieg gegen Griechenland durch einen Treffer von Christian Heintz in der Nachspielzeit. Nach einem 1:1 gegen Belgien war im abschließenden Spiel erneut Georgien der Gegner. Der Koblenzer Kapitän steuerte zwei Tore zum deutlichen 5:2-Sieg bei.
Seit seinem vierten Lebensjahr spielt Christian Heintz aus Koblenz-Rübenach Fußball. Bis in die Rheinlandliga schaffte es der gebürtige Eifelaner, der u. a. bei der SG Ellscheid kickte. Bis ein Schicksalsschlag im Februar 2010 sein Leben komplett veränderte. Christian Heintz, damals 26 Jahre alt, wurde bei einem Autounfall schwer verletzt. „Mein rechtes Bein war so kaputt, dass ich mich für eine Amputation entschieden habe“, erzählt der Koblenzer. Vom Fußballspielen hatte er sich gedanklich schon verabschiedet. Zwei Tage nach der Amputation kamen seine Eltern ins Krankenzimmer mit einem Flyer über den Amputierten-Fußball in Deutschland. „Das war ein Wink vom lieben Gott und meine Eintrittskarte zurück ins Fußballerleben“, erinnert sich Heintz.
Der gelernte Maler und Lackierer machte eine Umschulung zum Groß- und Außenhandelskaufmann. Heute arbeitet er in diesem Beruf in Mülheim-Kärlich. Sein Leben meistert er mit einer Prothese. „Ich ziehe das Ding morgens an und abends wieder aus. Tagsüber denke ich gar nicht mehr daran, das ist für mich Alltag.“
„Wir leisten Pionierarbeit“
Der 33-Jährige geht offen mit seinem Handicap um und gibt zu, dass er nach dem Unfall eine depressive Phase hatte. In dieser hat ihm auch der Sport geholfen. 2012 war Christian Heintz zum ersten Mal im Training, seitdem ist er Mitglied der Nationalmannschaft der Amputierten-Fußballer. Bei der WM 2014 in Mexiko belegte er mit dem Team Platz 13 bei 24 Teilnehmern. „Seit 2015 bin ich Capitano und Organisator. Wir leisten Pionierarbeit“, sagt Heintz, der gerne seine Freizeit opfert. „Ich mache das mit voller Leidenschaft und viel Herzblut.“ Bei der Europameisterschaft Anfang Oktober in der Türkei belegte der Fan des 1. FC Köln mit seiner Mannschaft den achten Platz und qualifizierte sich dadurch für die Weltmeisterschaft im nächsten Jahr, die erneut in Mexiko ausgetragen wird.
In Deutschland gibt es 20 bis 22 Amputierten-Fußballer, die sich einmal im Monat für ein Trainings-Wochenende in Hoffenheim treffen. Dazu kommen zwei bis vier Länderspiele im Jahr. Da es in Deutschland noch keine eigene Liga gibt, hat Heintz mit seinem Hoffenheimer Team in diesem Jahr an einem Wettbewerb in Polen teilgenommen. Auch wenn am Ende nur der fünfte und damit letzte Platz heraussprang, war die Teilnahme ein Erfolg. „Wir haben uns taktisch und spielerisch weiter entwickelt“, findet der Koblenzer.
Fußball auf Krücken
Amputierten-Fußball wird ohne Prothese gespielt, sondern mit zwei Krücken, die bei der Fortbewegung helfen. „Das ist eine gewaltige Umstellung und geht tierisch auf die Arme und Handgelenke. Außerdem muss man den Gleichgewichtssinn trainieren“, so Heintz, der drei Mal in der Woche auf dem Oberwerth joggen geht, um sich fitzuhalten.
Dankbar ist der Kapitän der Nationalmannschaft der Sepp-Herberger- und Dietmar-Hopp-Stiftung, die die noch recht unbekannte Sportart unterstützen. Christian Heintz und seine Mitstreiter sind froh über Präsenz in den Medien. In der vergangenen Woche sendete der Bezahlsender Sky die Dokumentation „Die ganz andere Nationalmannschaft“.
Sein Arbeitgeber ist sehr kulant und gewährt Christian Heintz ein gewisses Kontingent an Sonderurlaub. „Sonst wäre das alles gar nicht machbar“, stellt Heintz klar. Nach dem Unfall konnte er sich auf seine Familie und Freunde verlassen. „Sie haben mich wahnsinnig unterstützt.“ Auch die Lotto-Elf absolvierte ein Benefizspiel für den Rübenacher, der in der Nationalmannschaft als Abwehrchef in der Dreierkette fungiert.
Heintz hofft, dass der Amputierten-Fußball 2024 bei den Paralympics in Paris ins Programm aufgenommen wird. Zu alt wäre er mit dann 40 Jahren keineswegs, aktuell ist der älteste Nationalspieler 56 Jahre. „Es wäre ein Traum, als Fußballer an Olympia teilnehmen zu dürfen“, sagt Heintz.
2016 Teilnehmer in Rio bei den Paralympics
Für den Koblenzer wäre es die zweite Teilnahme an den Paralympics: 2016 in Rio war er Teil der Sitzvolleyball-Nationalmannschaft, kam als Ersatzspieler allerdings nicht zum Einsatz. „Die Eröffnungsfeier im Maracana und das Leben im Olympischen Dorf – das waren überwältigende Eindrücke“, schwärmt Heintz noch heute. Zum Sitzvolleyball gekommen war er durch den Koblenzer Heiko Wiesenthal. Mittlerweile konzentriert sich der 33-Jährige aber voll und ganz auf den Amputierten-Fußball: „Ich habe beide Sportarten knapp drei Jahre parallel betrieben, der Aufwand wurde irgendwann zu groß.“
Christian Heintz hat sich zurückgekämpft ins Leben nach seinem schweren Schicksalsschlag. Es ist beeindruckend, mit welcher Energie der junge Mann auftritt. Und seinen Humor hat er sowieso nicht verloren. Heute sagt er über seinen Unfall: „Ich hatte Glück im Unglück. Ich war schon immer Linksfüßler und habe gottseidank dieses Bein behalten. Mit dem rechten konnte ich eh nichts anfangen.“
Mehr Infos zum Amputierten-Fußball finden Sie auf der Homepage www. amputierten-fussball.de
Amputierten-Fußball – ein faszinierender Sport
Für Menschen, denen aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls ein Bein oder ein Arm amputiert werden musste, etabliert sich seit kurzer Zeit mit dem Amputierten-Fußball eine besondere Facette des Behindertenfußballs in Deutschland.
Feldspieler jagen hierbei mit Metallkrücken mit einem Bein dem runden Leder nach. Der Torwart spielt mit beiden Beinen, aber nur mit einem Arm. Dadurch entsteht ein schnelles, spannendes und faszinierendes Spiel, das die Zuschauer in seinen Bann zieht.
Gespielt wird ohne Abseits mit sechs Feldspielern und einem Torwart, der seinen Strafraum nicht verlassen darf, auf einem 51 x 31 Meter großen Spielfeld. Der Ball darf nur mit dem Bein fortbewegt werden. Stoppen oder Weitergabe des Balles mit den Krücken wird als Handspiel gewertet. Wird die Krücke allerdings versehentlich vom Ball getroffen bzw. der Spieler hat dabei keine aktive Bewegung mit der Krücke ausgeführt, so läuft das Spiel weiter. Zudem ist das Tor mit 2 x 3 Metern etwas kleiner. Die Spielzeit beträgt zwei Mal 25 Minuten.