BRUCHHAUSEN. -nsc- Einfach nur Ich sein — das ist manchmal gar nicht so einfach. Schon gar nicht, wenn man vielleicht nicht unbedingt der allgemein akzeptierten „Norm“ entspricht. Wenn man mal etwas dicker ist, die Familiensituation angespannt ist, oder gar eine Beeinträchtigung hat. In der kleinen Gemeinde Bruchhausen gibt es dank zahlreicher, engagierter, ehrenamtlicher Helfer aber für jeden, der einfach nur er selbst sein möchte und Pferdebegeistert ist, eine besondere Anlaufstelle: den Reitverein Bruchhausen.
Die meisten, die hierherkommen, verbindet nicht nur die Liebe zu den Pferden, sondern auch der Leitgedanke „Ich sein können“ des Vereins. Denn der Verein hat sich zur Aufgabe gemacht, Kindern und Erwachsenen – auch bei kleinem Geldbeutel – den Reitsport zu ermöglichen.
Darüber hinaus legt der Verein großen Wert darauf, auch Menschen mit Behinderung, sozialer Benachteiligung und Kindern, die keine Chance auf ein intaktes Familienleben haben, die Möglichkeit zu geben, nicht nur Reiten zu können, sondern auch Teil einer Gemeinschaft zu sein.
„Wir sind kein typischer Verein. Eigentlich sind wir eine große Familie“, stellt der Vorstand geschlossen klar. Jugendwartin Regina Selzer fügt noch lächelnd hinzu: „Meinen Freund musste deshalb auch Mike absegnen.“
Doch den Verein macht nicht nur der Vorstand aus. „Wir halten hier lediglich die Hand drüber. Ohne unsere engagierten Helfer könnten wir es nicht stemmen“, ist sich der Vorstand einig.
Denn in dem Reitstall gibt es immer was zu tun. Da kommen schon alleine für Mike Hentschel, dem Vorsitzenden und Reitlehrer, etwa 51 Stunden die Woche – neben seinem Vollzeitjob – zusammen, wie seine Vorstandskollegen feststellen.
Aber auch verteilt auf die anderen Vereinsmitglieder fallen in einer Woche viele ehrenamtlichen Arbeitsstunden an. Mit Stall ausmisten, der Versorgung der Pferde und den sonst so anstehenden Arbeiten, kommen insgesamt rund 200 Stunden zusammen. „Hier wird man satt, dreckig und glücklich“, lacht Monika Rolauf.
Elisabeth Bossmann, stellvertretend für die vielen Mitglieder, ist genau so eine engagierte Helferin. Über mehre Ecken ist sie zu dem Reitverein gekommen. „Ich fand es etwas schwierig wegen den engen Hosen. Aber ich habe beim Reitunterricht zugesehen und dachte mir, dass ist ja schon schön“, erklärt Elisabeth Bossmann. Mike Hentschel sei ihr Interesse nicht entgangen und so saß sie umgehend für ihre erste Reitstunde auf einem Pferd. „So geht es hier vielen. Man kommt nur zum Gucken und schwups sitzt man auf einem Pferd“, erklärt Monika Rolauf unter Zustimmung ihrer Vorstandskollegen.
Elisabeth Bossmann gibt mittlerweile selbst Unterricht. „Ich durfte hier sein, wer ich bin. Das hier ist wie ein zweites Zuhause für mich. Man kann hier einfach ankommen wie man ist“, bestärkt sie den Leitgedanken des Vereins.
„Jeder wird hier akzeptiert, wie er ist. Wenn man nach Hause fährt geht es einem gut, egal wie schlecht es einem vorher ging“, bekräftigt auch Monika Rolauf.
Wie alles anfing
Seine Anfänge machte der Verein auf privater Ebene. Auf der Suche nach einem geeigneten Reitstall sind Monika Rolauf und Silke Hentschel nicht so recht fündig geworden. „Wir haben immer gescherzt: ‚Mike, du kannst dir ja Pferde kauen und uns dann das Reiten beibringen‘. Und dann hat er tatsächlich eines Tages zwei Pferde gekauft“, erzählt Silke Hentschel amüsiert.
Danach fanden immer mehr Personen ihren Weg zu der reitbegeisterten Gruppe. Und aus zwei Pferden sind mittlerweile gleich neun Pferde geworden. Mikes Plan hinter der Anschaffung der beiden Pferde war Reitunterricht für jedermann – ganz individuell auf jeden abgestimmt. Aus versicherungstechnischen Gründen entschieden sich die Verantwortlichen 2007 zur Vereinsgründung.
Neben dem regulären Trainings- und Stallbetrieb arbeitet der Verein mit Kitas, Schulen und auch Altenheimen zusammen und ermöglicht so für die Kinder und Senioren besondere Erlebnisse. Eine enge Kooperation verbindet auch das Pasch Kinderhaus in Unkel mit dem Reitverein.
„Mittlerweile haben wir hier so viel erlebt. Von Sonnenschein bis Gewitter. Da könnte man ein ganzes Buch mit füllen“, so Monika Rolauf lachend.
Von der anderen Seite betrachtet
Beim Reitverein Bruchhausen lernen die Kinder nicht nur reiten, sondern auch ganz
nebenbei, was Inklusion bedeutet. „Wir sehen das hier als selbstverständlich an und das geben wir hier auch weiter“, unterstreicht Silke Hentschel.
Ein Beispiel dafür ist die Geschichte von Patrick. „Dieser Verein hat Vorbildcharakter“, strahlt Andrea Becker. Sie kam mit ihrem beeinträchtigten Sohn Patrick nach Bruchhausen. Auf der Suche nach etwas für ihren Sohn, wo er Erfolgserlebnisse haben kann, aber auch in einer Gemeinschaft aufgenommen ist, wurde sie beim Reitverein fündig. „Mein Kind treibt gerne etwas Schabernack, aber wir machen das hier jetzt schon seit sechs Jahren und wurden noch nie weggeschickt“, erzählt Andrea lächelnd.
Bevor die beiden den Reitverein entdeckten, nahm Patrick an therapeutischen Reiten teil. „Allerdings war das nichts, im Vergleich hierzu. Da ging es nur ums Reiten, es gab keinen wirklichen sozialen Kontakt und man musste sich an feste Zeiten halten. Was mit einem beeinträchtigten Kind nicht immer leicht ist“, merkt sie an.
„Hier aber gibt es kein Muss, sondern ein Kann. Und wir sind immer willkommen.“
Und noch eins hebt Andrea Becker hervor: „Es ist einfach schön zu sehen, wie Paddy zu der Gemeinschaft gehört. Hier spielt seine Beeinträchtigung keine Rolle und er wird respektiert. Das ist draußen ganz anders, leider.“