MITTELSTRIMMIG. -edb- Es gibt viele Möglichkeiten, die Welt zu sehen: durch die rosarote Brille, beschlagene Scheiben – oder durch verrostetes Material. Der im Oktober 2016 verstorbene Künstler Raffael Rheinsberg hat sich durch Schrott- und Müllberge gearbeitet und seine Sicht der Welt gezeigt: Wenn jeder Gegenstand eine Seele besitzt, dann hat er dafür den Körper geschaffen.

Raffael Rheinsberg hätte e s auch einfach haben können. Bereits in den 70ern hatte er als Künstler einen internationalen Ruf, der ihm auch eine rostfreie Kunst ermöglicht hätte. Doch das wäre zu bequem gewesen für einen Mann, dem die Beschäftigung mit Müll und Schrott eine Therapie für die Seele war. Rheinsberg, 1943 in Kiel geboren, hat sich selbst als „Kriegskind“ bezeichnet und darunter gelitten, keine Antworten auf seine Fragen nach Zerstörung und Verlust erhalten zu haben.

Raffael Rheinsberg Ausstellung Kunstahalle Mittelstrimmig

Raffael Rheinsberg gehört wie Christian Boltanski, Jochen Gerz und Joseph Beuys zu den Künstlern der „Spurensicherung.“

 

Reisen ohne 
Kunstgepäck

Raffael Rheinsberg reiste stets ohne Kunstgepäck. Quer durch Europa, Nord- und Südamerika, Russland und Asien sammelte er scheinbar wertlose Gegenstände des Alltags, die er zu einem sinnvollen Ganzen wieder zusammenfügte. Bei seiner Spurensuche ließ er sich leiten vom Unbewussten, beim Gestalten einer neuen Ordnung vom Künstlerischen als ständiger Prozess des Verstehens und Bewusstmachens.

Die Peripherie der Großstädte war seine Welt. Dort fand Rheinsberg die Dinge, die er für sein künstlerisches Schaffen brauchte: Müll und Schrott, einst wertvoll für den Besitzer, nun zur Bedeutungslosigkeit degradiert. Wie eine Archäologe wühlte er sich durch die angehäuften Berge der Wegwerfgesellschaft und sammelte Dinge, die keiner mehr haben wollte.

„Jeder Gegenstand besitzt eine Seele“, war sein Motto und mit seinen Werken trat er auch gleich den Beweis an. Ausrangiert, weggeworfen, für überflüssig empfunden – das waren für ihn die wirklich interessanten Objekte der Kunst.

 

Seelenverwandtschaft

Raffael Rheinsberg Lilli Engel.

Im Denken und Fühlen wie siamesische Zwillinge: Raffael Rheinsberg und Lilli Engel.

Ein Mensch, der Lilli Engel vor 36 Jahren nicht nur ins Herz traf, sondern tief aus der Seele sprach. „Wir waren wie siamesische Zwillinge“, erzählt die heute 78-Jährige im Gespräch mit unserer Zeitung. „Ich hatte mich in seiner Kunst wiedergefunden.“

Die Suche nach den Wurzeln, die künstlerische Gestaltung der „zerstörten Bilder im Kopf“, die kritische Auseinandersetzung mit Krieg und Zerstörung legte die Grundlage für eine Freundschaft, die über drei Jahrzehnte lang halten sollte.

„Unsere Ausstellungen hatten immer einen kritischen Charakter“, weist Lilli auf den durchaus gewünschten moralischen Zeigefinger der Kunst hin. „Krieg ist keine Lösung“, sagt sie mit Blick auf die Vergangenheit und meint damit auch die Gegenwart.

Die Ausstellung mit dem Titel „K uns t“ (= Kunst hat mit uns allen zu tun), angelehnt an eine alte Stempelarbeit aus den 70ern, ist noch bis zum 24. / 25. Juni in der Kunsthalle „Saalbau Theisen“ in Mittelstrimmig geöffnet. Weiteres Infos bei Lilli Engel  (06545) 65 09.

 

Fotos: Billigmann