KOTTENHEIM/EICH. -edb- Wer Joachim Becker (58) auf der Website oder im Telefonbuch sucht, findet gleichnamige Rechtsanwälte, Politiker und Trauerfälle. Nur Deutschlands bekanntesten Jazz-Produzenten findet man nicht. Es gehört zu Beckers bescheidener Art, sich nicht in den Vordergrund zu stellen. Dabei hätte er als zweifacher Grammy-Preisträger Grund genug.
Musik ist Joes Leben seit seiner Kindheit. Geprägt von seinem Vater, dem Mitbegründer der Big Band des Mayener Megina Gymnasiums, spielte er schon früh Klavier und Keyboard.
Das Repertoire: quer Beet mit Schwerpunkt Jazz. Dass es einmal in die professionelle Richtung gehen sollte, zeichnete sich schon früh ab. Während seines Studiums in Köln fand er schnell in die Kreise, die im Jazzmusikgeschäft das Sagen hatten. „Die Kölner Szene war in den 80er Jahren einzigartig“, erinnert sich der gebürtige Kottenheimer. Einzigartig, weil es nur an der Kölner Hochschule den Studiengang
„Jazz und Popularmusik für Klavier“ gab, nachhaltig, weil die Künstler neben dem Unterricht sich in mühevoller Kleinarbeit alles von den Schallplatten erarbeiten mussten. Literatur dazu gab es keine.
Mit Leidenschaft, Talent und dem Glück, sehr gute Lehrer gefunden und sehr gute Musiker getroffen zu haben, gelang Joe Becker der Sprung in die Profiszene: Vier Jahre lang spielt er in der Band des mittlerweile verstorbenen amerikanischen Schlagzeugers Alphonse Mouzon. Mit ihm verband ihn eine enge Freundschaft bis zu Mouzons Tod im vergangenen Dezember.
Die Jahre 86 bis 90 sind für ihn ohnehin prägende Schaffensphasen – vor allem die Köln Big Band mit den freien Musikern der Kölner Szene werden für ihn wegweisend. Zum ersten Mal tritt er als Produzent in Erscheinung. Nachfragen häufen sich. Und Joe entschließt sich, den Weg vom Musiker zum Produzenten zu gehen.
Seine Musik kommt an, er arbeitet für verschiedene Labels, vor allem in den Vereinigten Staaten. Und hier ist es der mittlerweile verstorbene Joe Zawinul, einer der einflussreichsten Jazz-Musiker des 20. Jahrhunderts, der ihm den letzten Schliff verpasst. Er wohnt bei ihm, macht mit ihm sechs Platten – und gewinnt 2010 mit ihm postum den zweiten Grammy (Zawinul verstarb 2007).
Vor allem der Jazz-Tradition fühlt sich Joe Becker tief verbunden. „Aber nicht nur“, wie er betont. „Ich höre mir alles an – Techno weniger.“ Für die amerikanische Funk-Ikone Maceo Parker produziert er bis heute. Randy Brecker, Abdullah Ibrahim, die WDR Big Band und Prince – Musikgrößen, mit denen Joe Becker zusammengearbeitet hat. „Goldene Zeiten“, wie Becker die vergangenen Jahre nennt. Aber auch „harte Zeiten, in denen man kaum Geld verdienen konnte“. Heute ist Musik frei zugänglich. Urheberrechte? Das war einmal.
Ebenso gehören stilprägende Künstler wie Prince, Michael Jackson oder David Bowie der Vergangenheit an. „Die Radio-Kultur hat sich verschlechtert“, kritisiert er. Alles klinge ähnlich, den meisten fehle das gewisse Etwas. „Vielleicht liegt es an der Formatierung des Radios“, formuliert er es vorsichtig. Und meint damit die Notwendigkeit, Musik im Minuten-Takt abzuspielen – auf Kosten der freien künstlerischen Gestaltung.
Ohnehin hat die moderne Technik Joes Leben umgekrempelt. Reiste er sonst zu den Studios mit dicken Bändern unterm Arm, reicht es heute aus, Files übers Internet zu verschicken. Die Verhandlungen laufen dann über Skype. Und so ist es mit Reisen in Übersee deutlich weniger geworden.
Für einen, der den Globus – nach Kilometern gerechnet – schon mehrfach umrundet hat, aber nicht schlimm: „Ich entspanne ganz gerne zu Hause, häufig bei einem guten historischen Buch“, meint Joe, der mittlerweile in Eich wohnt. Oder beim Spazierengehen durch den Kottenheimer Wald. „Das ist meine Heimat, da wohnen meine Freunde“, sagt er und lässt keinen Zweifel daran, dass er dorthin auch wieder zurückkehren wird.