NDERNACH. -edb- Dass er mal zu den schweren Andernacher Jungs gehörte, daraus macht Migo Saul (63) kein Geheimnis. „Die meisten älteren Andernacher kennen mich und wissen, wie mein Leben war.“ Und das verlief in einem rasanten Tempo immer auf der Überholspur. „Ich mochte Fußball, Wein, Weib und Party“, meint er vielsagend, während er immer wieder auf die Uhr schaut. Seine 88-jährige Mutter sei krank, erzählt er. Um die müsse er sich kümmern. Und da seien ja auch die Schwäne, die vielen Verpflichtungen für die Stadt und seine ehrenamtlichen Aufgaben.
Seit seiner Erwerbsunfähigkeit vor 15 Jahren ist für den 63-Jährigen Zeit zum wertvollsten Gut geworden. Nach dem Schlaganfall habe er sich erst einmal finden und neu erfinden müssen, erzählt der gebürtige Andernacher. Mit dem „alten Leben“ und „aus dem Vollen schöpfen“ sei es im wahrsten Sinne des Wortes schlagartig vorbei gewesen.
Beruflich hatte es für ihn als gelernter Schlosser und späterer Kranfahrer im Andernacher Hafen keine Perspektive mehr gegeben. Und an seine Arbeit als Dachdecker in Bonn („Meine schönste berufliche Zeit“) war auch nicht mehr zu denken.
Besonders hart traf ihn aber das jähe Ende seiner Fußballkarriere, die ihn, für TuS Mayen, FC Plaidt und SC 07 Bad Neuenahr spielend, bis in die hochklassige Oberliga geführt hatte.
Migo Saul kehrt zurück ins Leben
Und nun der Schlaganfall, die halbseitige Lähmung und der lange und schwere Kampf zurück ins „normale“ Leben, das Migo Saul so gar nicht kannte.
Mit eiserner Selbstdisziplin und guter ärztlicher Therapie schafft er das fast Unmögliche, lernt wieder Laufen und Sprechen – und eine neue Seite in sich kennen.
„Von da an hat sich etwas in mir verändert“, erzählt er. „Ich habe mich auf einmal für die Menschen und die Natur interessiert.“
Saul entwickelt eine große Liebe zur Bergwelt, macht Tageswanderungen und schafft es sogar bis auf den Watzmann. Dass er die heimischen Traumpfade bereits abgeschritten ist, versteht sich von selbst.
„Ich habe neue Energie aufgebaut und wieder Lebensfreude entwickelt, aber in ganz anderen Bereichen“, erzählt er weiter. Statt Fußballspielen war Kinderbetreuung in Feriencamps angesagt, statt wilder Partys einige Jahre der Pflege seines nach einem Unfall querschnittsgelähmten Freundes Werner Rembs. Und nun steht er vor der nächsten großen Aufgabe als Sohn, die täglich schwächer werdende Mutter zu betreuen.
Andernach, meine Stadt
Migo Saul ist mit Herz und Seele Andernacher. „Obwohl ich ja sehr umtriebig war, habe ich Andernach nie verlassen. Einmal am Tag muss ich den Rhein sehen, sonst werde ich krank“, meint er und schiebt wie selbstverständlich hinterher:
„Andernach ist meine Stadt. Wenn ich so viel dafür tue, darf ich das auch sagen.“
Für die Stadt übernimmt er Schiffsbegleitungen, Führungen am Geysir-Gelände und Kontrollgänge am 20 Hektar großen Naturschutzgebiet Namedyer Werth. Seine Aufgaben als Ranger liegen ihm besonders am Herzen.
Die Schwanen-Geschichte
Und hier beginnt auch seine ganz persönliche Geschichte mit den Schwänen, die in den letzten Wochen für Schlagzeilen gesorgt hatten. Seit fünf Jahren verfolgt er das Drama um die Schwanenbrut. Während im ersten Jahr alles „nach Plan“ verlief, hatte das Schwanenpaar in der Folge mit Hochwasser, Störungen am Nest und schließlich mit der ungewöhnlich hohen Nilganspopulation zu kämpfen.
In diesem Jahr hatte das Schwanenpaar anders als sonst in den Andernacher Rheinanlagen gebrütet. Als der Ganter vor vier Wochen durch einen Unfall verendete, hat Saul gemeinsamen mit einer weiteren Tierliebhaberin Ungewöhnliches geleistet, das Nest mit einem Bauzaun umgeben und durch regelmäßige Fütterung, Trinkwasserversorgung und Überwachung die Schlüpfung der Küken ermöglicht.
„Sie sind jetzt in Sicherheit“, ist Saul erleichtert. Sechs Stunden am Stück hatte er vor dem Bauzaun gelegen, um bei einer möglichen Nilgansattacke eingreifen zu können. „Schwanenküken bleiben nur zwei oder drei Tage im Nest. Auf dem Weg ins Wasser sind sie gänzlich ungeschützt.“
Die Schwanenfamilie hat es zum Namedyer Werth geschafft. „Unversehrt und vollständig“, freut sich der Ranger, der sie dort bereits gesichtet hat. Für den einstigen Bäckerjungen das Signal, dass er der Natur ihren Lauf lassen und sich nun der Erfüllung eines Traums widmen kann. Wenn es nämlich die Pflege seiner Mutter und seine eigene Gesundheit zulassen, will er noch in diesem Jahr die Zugspitze erwandern.
Fotos: Seydel