REGION. -edb- Als sich die Eltern von Ali Tuncer trennten, brach für den 16-Jährigen eine Welt zusammen. Die Last der Verantwortung, die er zu tragen hatte, war für seien schmächtigen Schultern zu schwer. Also machte er sich durch Essen stark – und glücklich. Aus diesem Teufelskreis kam er nicht mehr raus. Nach 10 Jahren brachte er 250 Kilo auf die Waage.
Jetzt wiegt Ali Tuncer (37) 135 Kilo und ist mit sich zufrieden. Mit Sport und einer vernünftigen Ernährung hat er es geschafft, aber es war ein langer und harter Weg. Als damals schwerster Kandidat der RTL-Abnehmshow „Biggest Loser“ war er 2013 ins Rennen um den begehrten Preis gegangen. Doch ihm ging es um viel mehr.
„Ich habe das als meine letzte Chance gesehen“, erzählt Ali im Rückblick. „Und ich wollte mich nicht vor einem ganzen Land blamieren.“
Dass „The Biggest Loser“ mehr Show als tatsächliche Anleitung zur Selbsthilfe sein würde, wusste er zum damaligen Zeitpunkt nicht, aber er hielt durch. Und als ihn die anderen Kandidaten aus der Show wählten, weil er innerhalb von sechs Wochen 36 kg abgespeckt hatte und damit für sie zum größten Konkurrenten geworden war, machte er zu Hause weiter. „Ich hatte mich mit der RTL-Trainerin Silke Kayadelen angefreundet, die mir auch weiterhin die Ernährungspläne geschrieben hat. Ihr Mann ist Sportmediziner und hat mir bei der Umsetzung meiner sportlichen Ziele geholfen.“ Das tun sie noch immer.
Freunde durch dick und dünn
Aber Ali hat weitere Freunde gefunden. Zum Beispiel Mohammed Abdallah (24), der amtierende und damit dreimal in Folge Sch ergewichts-Weltmeister im Kickboxen. „Er motiviert mich seit fünf Jahren“, erzählt Ali und ist stolz, ihn zu seinen Freunden zählen zu dürfen. Mit seinen alten Kumpels hat er kaum noch Kontakt. „Da ging es immer nur ums Essen“, sagt er.
Geändert hat sich in den fünf Jahren nach „The Biggest Loser“ so einiges in seinem Leben.
„Dafür brauchst Du Menschen, die es ehrlich mit Dir meinen“, betont er.
Sein Chef hatte ihn für die 10 Wochen „Biggest Loser“ bei vollem Gehalt freigestellt und später dann die Dienstpläne an seine Trainingszeiten angepasst. „Keine Selbstverständlichkeit“, wie er anerkennend sagt. Aber der Chef mit den guten Nerven hatte zu Alis Schwergewichtszeiten schon so einiges mitgemacht. Etwa sieben Bussitze hatte Ali verschlissen und Fahrten im Partybus gingen nur unter großen Schmerzen. „Mein Bauch blieb immer am Lenkrad hängen“, erzählt er. „Ich hatte danach rote und offene Striemen und blaue Flecken. Aber ich habe den Partybus geliebt und wollte auf die Fahrten nicht verzichten.“ Ein altes Bild erinnert ihn an diese Zeiten. Heute ist er stolz auf das Erreichte.
Ali Tuncer ist eine Hilfe für andere
Weil er weiß, wie schwer es ist, aus dem Hamsterrad auszusteigen und sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, coacht er heute andere Betroffene. Gemeinsam mit der Uni-Klinik in Bonn begleitet er ein Jahr lang Kinder mit beginnender Adipositas. Ärzte und Ernährungsberater haben ihn bewusst für das Projekt „Durch dick und dünn“ ausgewählt. „Weil ich so authentisch bin“, sagt Ali stolz und verweist auf sein altes Leben.
Den Leidensdruck, den er mit 250 Kilo hatte, hatte der junge Mann nie nach außen gezeigt:
„Ich habe das Haus nur zum Arbeiten verlassen, danach habe ich mich wieder auf meine Matratzen gelegt.“
Davon hatte er zwei, denn ein normales Bett hätte sein Gewicht nicht ausgehalten, und für eine Spezialanfertigung fehlte ihm das Geld.
„Meine Mutter sollte von meiner extremen Esssucht nichts merken“, erzählt er.
Die regelmäßigen Mahlzeiten bei ihr ergänzte er mit Fast Food. „Da kamen locker täglich zwischen 10 000 und 15 000 Kalorien zusammen“, rechnet er hoch. Pro Monat kalkulierte er zusätzlich 1 000 Euro nur für Fast Food ein. Dass er mit seinem Gewicht in keinen Stuhl mehr passte, kein Café besuchen konnte, sich vor Scham nicht ins Schwimmbad traute und so immer mehr vereinsamte, war ihm bewusst. Aber das Glücksgefühl, das Essen bei ihm auslöste, konnte durch kein anderes Gefühl ersetzt werden. Erst als er nachts von extremen Schmerzen im Sprunggelenk aufwachte und nicht mehr aufstehen konnte, stand sein Entschluss fest: „Du musst etwas ändern,“ sagte ich mir. „Sonst ist Dein Leben bald vorbei.“
Ausgerechnet eine Spam machte ihn auf die Biggest Loser-Sendung aufmerksam. „Ich wollte ein 10 XL-Shirt im Online-Shop bestellen. Als ich die Werbung sah, hab ich nicht lange gezögert und mich beworben. Ich hatte ja nichts mehr zu verlieren.“
40 Kilo Haut sind weg
Verloren hat Ali dennoch, und zwar 120 Kilo Gesamtgewicht, davon alleine 30 Kilo Haut. Bald werden es 40 Kilo sein. In 2017 ließ er sich 7,5 Kilo an der Brust entfernen, im letzten Jahr 12,5 Kilo Haut am Bauch und 10 Kilo am Rücken: Und in diesem Jahr stehen noch 5 Kilo pro Bein an den Innenseite der Oberschenkel an.
„Ich habe über zwei Meter Narben und ich trage sie mit Stolz. Sie erinnern mich daran, dass ich nie wieder dahin möchte, wo ich einmal war“, sagt Ali mit Nachdruck.
Ali Tuncer ist am Mittwoch, 15. Mai (18 Uhr), zu Gast im Ev. Stift in Koblenz (Sporthalle) und berichtet über seinen ganz eigenen Weg zur Wunschfigur. Er gibt hilfreiche Tipps zu den Themen Ernährung, Sport und dazu, wie man seinen eigenen Schweinehund überwindet. Der Eintritt ist frei.
Fotos: Billigmann