MÜNSTERMAIFELD. -edb- Als Simone Jäger (53) im August 1989 aus der ehemaligen DDR über Ungarn in den Westen floh, hatte sie noch viele Träume: reisen, die Welt erkunden, sich beruflich verwirklichen. Doch an der angehenden Schumachermeisterin gab es keinen Bedarf. Und so ging Simone in den kaufmännischen Beruf zurück, den sie gelernt hatte. Die begonnene Meisterschule brach sie ab.
Doch das Träumen hatte die junge Frau nie verlernt. 1992 kam Sohn Kevin zur Welt, mit Ehemann Thomas wurde sie 2000 in Münstermaifeld sesshaft.
2007 ist das magische Datum, das ihr Leben verändern sollte.
Simone begann mit Malen und Nähen – und zum ersten Mal mit Reitsport.
„Als ich die Ledersättel gesehen habe, wusste ich auf einmal, was ich will“, erinnert sich die heute 53-Jährige.
„Ich wollte Lederpflege zum Beruf machen, für Werterhaltung statt Wegwerfen sensibilisieren.“
Und damit fingen die Träume an, Wirklichkeit zu werden. Kurz darauf kündigte Simone ihre Arbeit als Controllerin und machte sich selbstständig. Doch die reine Lederpflege war für ihren kreativen Kopf zu wenig. Und so kaufte sie Lederreste auf und ließ ihrer Fantasie freien Lauf.
Mittlerweile sind in ihrer Werkstatt in Münstermaifeld Produkte entstanden, die sowohl den alltäglichen Bedarf abdecken, als auch für besondere Momente im Leben geeignet sind: angefangen bei Taschen über Schürzen bis zu Ringkissen für die Trauung – und alles rund um den Hundebedarf wie Halsbänder, Decken und Kissen.
Mit der Hände Arbeit
Die Geschichte der 100 Jahre alten Singer-Nähmaschine ihrer Oma ist emotional belegt und hat einen Sonderplatz im Hausflur gefunden.
„Ich benutze sie nicht, aber sie hält alte Erinnerungen wach“, erzählt Simone. Erinnerungen an ihre Zeit in Magdeburg, als sie den ersten Versuch wagte, dem Büroalltag zu entfliehen.
Handarbeits- und detailverliebt hatte sie sich den Kleidern, insbesondere den Spitzenmänteln ihrer Oma, gewidmet und sie mit einem modernen Design versehen.
„Aus der Not eine Tugend machen“, nennt Simone ihr damalige Nähleidenschaft.
Die fiel einem Schumacher auf, der sie direkt engagieren wollte. Für Simone die Erfüllung ihrer Träume.
Endlich konnte sie mit der Mode aus dem Westen mithalten. Pumps bekamen durch die damals beliebten Schleifen einen hochmodernen Touch, Lederkrawatten und -westen waren gefragter denn je und die teuren Lederschuhe waren mit Färben, Pflegen und Verschönern bei ihr in guten Händen.
Für die modebewusste Frau aus Magdeburg ein Beruf zum Verlieben. Die Meisterschule hatte sie da schon fest im Blick.Wäre da nicht das Bedürfnis nach Freiheit gewesen, der unbedingte Drang, ihre Wünsche im Westen Deutschlands zu Ende zu träumen . . .
Die Lederwerkstatt
Die Zeit in der Schumacherwerkstatt hat Simone stark geprägt. Dort ist auch ihre Liebe zu Leder entstanden, von dem sie immer wieder schwärmt:
„Ein weiches, langlebiges und strapazierfähiges Material, das sich individuell verarbeiten lässt.“
Doch Lederverarbeitung ist nicht einfach und erfordert beim Hämmern, Durchnähen und Kleben viel Kraft in den Fingern. „Die habe ich“, zeigt die zierliche Frau stolz ihre Hände.
Dass sie vor drei Jahren beide Hände bei einem Autounfall gebrochen hatte, lässt sie sich nicht anmerken. „Wenn es zu viel wird, steige ich auf die Feinarbeiten am Ringkissen um“, sagt sie und näht unbeirrt weiter.
Fotos: Billigmann