REGION. Über 600 Kilometer liegen zwischen Berlin und Weiler. Aber die designierte Parteivorsitzende der SPD, Andrea Nahles (47), ist zuversichtlich: „Wenn ma will, dann jäht et“, sagt sie und meint damit den Spagat zwischen ihrer Arbeit auf Bundesebene als SPD-Fraktionsvorsitzende und Abgeordnete und ihrem Heimatort, wo ihre 7-jährige Tochter Ella Marie aufwächst. Doch jetzt bläst der Frau aus der Vordereifel kräftiger Wind entgegen. 463 723 Mitglieder stimmen über ein neues Bündnis mit der Union ab. Ihre Herausforderin, Simone Lange, lehnt die Koalition ab. Andrea Nahles kämpft für den Koalitionsvertrag. AM WOCHENENDE hat mit ihr gesprochen.

 

Drei Landesverbände haben sich gegen das von Ihnen favorisierte Verfahren gestellt, den Parteivorsitz übergangslos zu übernehmen. Werten Sie das als persönliche Niederlage?

Andrea Nahles: Nein, ganz im Gegenteil. Es ist gut, dass Olaf Scholz kommissarisch den Parteivorsitz übernimmt. Ich vertraue Olaf Scholz seit vielen Jahren, wir verstehen uns hervorragend. Da alle einverstanden waren, bin ich mit der Lösung sehr zufrieden.

 

Halten Sie die Konstellation Fraktions- und Parteivorsitz in einer Hand für günstig?

Andrea Nahles: Es ist richtig, dass wir Partei und Fraktion zu einem Kraftzentrum jenseits der Regierung machen wollen. So schaffen wir breiten Raum für die Erneuerung der Partei und das Entwickeln neuer Ideen. Wir wollen uns wieder mit den sozialdemokratischen Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit beschäftigen, unabhängig von einer guten Regierungsarbeit.

 

Die Umfragewerte der SPD sind laut ARD-Deutschlandtrend Extra auf 16 Prozent gesunken. Fürchten Sie, dass das Mitgliedervotum über den Eintritt in die Große Koalition wegen der vorangegangenen Personalquerelen zum Ventil werden könnte?

Andrea Nahles: Die Mitglieder der SPD entscheiden über die Inhalte des Koalitionsvertrages, die deutlich sozialdemokratisch geprägt sind. Von der Politik, die wir darin verabredet haben, würden sehr viele Menschen profitieren.

Für vieles haben wir lange gekämpft: Wir schaffen den Aufbruch für ein soziales Europa, wir investieren 11 Milliarden Euro in Bildung. Wir sorgen dafür, dass der unbefristete Arbeitsvertrag wieder die Regel wird und Befristungen die Ausnahme.

Wir sichern die gesetzliche Rente insgesamt und führen eine Grundrente ein, damit diejenigen, die Jahrzehnte mit kleinem Lohn gearbeitet haben, besser dastehen als die, die gar nicht gearbeitet haben. Deswegen glaube ich, dass unsere Mitglieder wollen, dass diese Politik auch Realität wird.

 

In Artikel 38 des Grundgesetzes heißt es, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages Vertreter des ganzen Volkes sind, dass sie an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Ihr freies Mandat darf also nicht durch Ortsvereine verletzt oder in ein imperatives Mandat verwandelt werden. Folgt daraus, dass sie an das Mitgliedervotum nicht gebunden wären, wenn es sie in Gewissensnot bringen könnte?

Andrea Nahles: Über Koalitionen entscheiden die Parteien. Eine Befragung aller Mitglieder ist gelebte, direkte Demokratie. Die Abgeordneten wählen die Kanzlerin oder den Kanzler. Natürlich sind sie nur ihrem Gewissen verpflichtet. Wie sie sich ihre Meinung bilden, entscheiden sie selbst. Aber ich bin sicher, dass sie das Votum der SPD-Mitglieder ernst nehmen.

 

Wie wird die SPD das Außenministerium besetzen?

Andrea Nahles: Über die Personalfragen reden wir, wenn unsere Mitglieder die SPD in die Regierung schicken.

 

Welche persönlichen Konsequenzen werden Sie ziehen? Ist ein Komplettumzug von Weiler nach Berlin für Sie ein Thema, insbesondere auch im Hinblick auf die Betreuung Ihrer Tochter?

Andrea Nahles: Meine Heimat ist hier in der Eifel, nur hier bin ich „et Drea“, hier fühle ich mich Zuhause. Da liegt eine anstrengende Zeit vor mir, keine Frage. Aber ich werde so viel wie möglich mit meiner Tochter zusammen sein.

Wo ein Wille ist, ist auch Weg – oder „Wenn ma will, dann jäht et“, wie mein Vater immer sagte.

 

Hand aufs Herz: Streben Sie bei der nächsten Bundestagswahl, wann auch immer diese sein wird, eine Kanzlerkandidatur an?

Andrea Nahles: Ich strebe an, dass die SPD wieder zu neuer Stärke findet und jetzt in die Regierung geht, um das Beste für die Menschen im Land herauszuholen, was möglich ist.

 

Die Fragen stellte Edith Billigmann