BINNINGEN. -kat- Christoph Gerhartz ist es gewohnt, Menschen und Räume in Szene zu setzen. Möglichst schön sollen sie auf den Betrachter wirken. Doch was ist schön, was perfekt, was schräg und wer bestimmt es? In einer Gesellschaft, in der Schönheit und das Streben nach optischen Idealen teilweise in den Wahn führt, sind die Grenzen fließend. „Mich nervt das“, sagt der Fotograf aus Binningen. Bewusst setzt er in seinen Werken auch mal einen Gegenentwurf dazu. So wie bei diesem Porträt seines Patenkindes, das ihm beim aktuellen Fotowettbewerb der Zeitschrift „Photographie“ den ersten Platz beschert hat. Seine fotografische Gesellschaftskritik überzeugte die Jury und setzte sich gegen 850 weitere Einsendungen durch.

Für gewöhnlich zeigen die Fotos von Christoph Gerhartz verliebte Frischvermählte, schlummernde Neugeborene oder auch glückliche Familien. Viele seiner Kunden schätzen klassische Porträts. Ganz anders das Bild der freien Arbeiten des Binningers: Die ungewöhnlichen Motive faszinieren und irritieren zugleich. Bewusst spielen sie mit Erwartung, Realität und Fantasie. ¶

Barbiehaus, Wendyposter, Stofftiere, dazwischen ein Mädchen mit pinkem Kleid, gekreuzten Beinen, lächelnd: Die Szenerie scheint aus dem Leben gegriffen. Doch nur auf den ersten Blick.

Nach einem kurzen Moment löst sich die Normalität auf und lässt den Betrachter irritiert zurück. Christoph Gerhartz‘ Fotografie hat beim Porträtwettbewerb des Fachmagazins „Photography“ mit der ungewöhnlichen Idee und deren Umsetzung gepunktet.

Unter 850 Einsendungen kam sein Werk auf Platz Eins. Das Foto habe das Phänomen des Schönheitswahns, der schon Jugendliche ergreife, „auf die Spitze“ getrieben, heißt es in der Jurybewertung. Im aktuellen Heft ist das Bild auf einer Doppelseite abgelichtet. Arrangiert und aufgenommen hat es der Binninger im Zimmer seines Patenkindes, zu Ende „komponiert“ am Computer.

Denn nicht das Konterfei des Mädchens, sondern das einer Barbiepuppe ist letztlich porträtiert. Pink, unwirklich und doch irgendwie real: So sieht Gerhartz‘ Kritik an der Werbeindustrie und an Formaten wie „Germany’s Next Topmodel“ aus.

Was ist Fiktion, was Realität? Der 42-Jährige spielt gerne mit diesen Elementen. Real sind seine Motive. Die muss er zunächst einmal in Szene setzen.

„Die Technik beim Fotografieren ist entscheidend“, sagt er.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die hat Gerhartz von der Pike auf erlernt, wenn auch über Umwege. Als Jugendlicher griff er nämlich lieber zu Pinsel und Farbe statt zu Kamera und Farbfilm. Und seine erste Festanstellung fand er nicht etwa in einem Fotoatelier, sondern in Kloster Ebernach.

Erst während seines Zivildienstes setzte er sich zunehmend mit der Fotografie auseinander, kaufte sich eine Kamera und fand immer mehr Gefallen daran, seine Umgebung und Menschen abzulichten. Im Jahr 2000 begann er schließlich seine Ausbildung zum Fotografen an der Köln International School of Design, kurz KISD. 2004 machte er sich selbstständig. Sein Studio war acht Jahre im ehemaligen Technologie- und Gründerzentrum in Kaisersesch beheimatet, seit 2012 befindet es sich in Binningen.

Doch nicht nur im Studio nimmt der 42-Jährige seine Motive in den Fokus. Überall dort, wo Erinnerungen an Menschen, Landschaften und Gebäude gefragt sind, ist er zur Stelle. An den Wochenenden von Mai bis September sind es vor allem Hochzeiten, die seine Aufmerksamkeit und sein (handwerkliches) Geschick fordern.

„Es liegen sogar schon Anfragen für nächstes Jahr vor“, so Gerhartz. Um den „perfekten Tag“ in Bildern wiederzufinden, bedarf es perfekter Vorbereitung. Ein Gespräch über Vorstellungen des Brautpaares gehört genauso dazu wie das richtige Equipment und das Wissen um Wetter- und Lichtverhältnisse.

Ähnlich verhält es sich auch bei anderen Fotoaufträgen. Gerhartz hat das Motiv zumeist schon im Kopf, bevor es auf dem Kamerachip ist. Gewerbliche Kunden wie die Sparkasse oder auch Huhtamaki profitierten bereits davon, dass er anderen ein Bild ihrer Leistungsfähigkeit vermittelt.

Ein Bild von Christoph Gerhartz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei seinen freien Arbeiten kommt jedoch noch eine weitere Komponente hinzu. Hier spielt der Fotokünstler mit seiner eigenen Fantasie und der des Betrachters. Der Kopf eines Jungen auf dem Körper eines alten Mannes, das Model, das in einem Wald steht, mit einem Huhn in der Hand, oder auch der Hund im Schlafsack vor einer Bergkulisse, sind mehr als nur Fotos.

Es sind Geschichten und Bildkompositionen, die Gerhartz entwirft. Und die zeigen auch das Ungewöhnliche, nicht Erwartbare. So wie das aktuelle Siegerbild.

Schon zum fünften Mal hat der Eifeler den ersten Platz bei einem Fotowettbewerb belegt, die ersten vier in der Fachzeitschrift „fotoMAGAZIN“. Zuletzt hatte er sich dort vor sechs Jahren um den Sieg beworben. Nun stellte er sich in einem anderen Magazin der Konkurrenz – mit Erfolg.

Ein Bild von Christoph Gerhartz

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Jeder muss heute gut aussehen. Was vermeintlich nicht perfekt ist, wird weg retouchiert“, erklärt der Binninger seine Gedanken, die hinter dem aktuellen Siegermotiv stecken.

Darüber gehe die Individualität verloren. Schade finde er diese Entwicklung, die schon in der Jugend ausgeprägt sei. Den Mut zu finden, auch einmal etwas außerhalb der Norm zu zeigen – vielleicht will die Fotokunst aus Binningen auch dazu ermutigen.

Mehr Info gibt es unter www.christophgerhartz.de.

 

Fotos: Christoph Gerhartz